Die Waldorfschule lässt sich definieren als ein Schultyp, an dem nach einem alternativen pädagogischen Konzept im Vergleich zur Regelschule unterrichtet wird. Waldorfschulen nehmen Rücksicht auf die besonderen, auch künstlerischen Begabungen der Schüler und fühlen sich der Philosophie Rudolf Steiners verpflichtet.
Mit diesem Thema beschäftigt sich auch der Text mit dem Titel „Lernen mit allen Sinne“, der 2012 von Barbara Esser im Magazin Focus Online veröffentlicht wurde. Der Artikel gliedert sich in drei Abschnitte.
Die Autorin berichtet am Anfang über das Waldorfschulsystem, das ganz anders als das Regelschulsystem ist. Im Unterschied zu staatlichen Schulen z.B. ist ein Wiederholen der Klasse bei nicht ausreichenden Leistungen nicht vorgesehen. Großer Leistungsdruck wird dadurch vermieden, dass man Waldorfschülern bis zur Klasse 9 keine Noten erteilt. Im zweiten Abschnitt erfahren wir, dass Waldorfschüler erst sehr spät beginnen zu lesen und zusammenhängende Texte zu schreiben. Laut der Waldorfpädagogin Cornelia Leimkühler fühlen sich aber auch sehr begabte Schüler bestens in der Waldorfschule aufgehoben. Schwerpunkte bis zur 4. Klasse seien das Erzählen, Gärtnern, der Hüttenbau und das Musizieren. Im dritten und letzten Abschnitt informiert der Text darüber, welche pädago-gischen Schwerpunkte in den Klassen 8 bis 12 der Waldorfschule gesetzt werden: Neben dem Einstudieren von Theaterstücken legt man großen Wert auf Praktika z.B. im hand-werklichen oder sozialen Bereich. Der Waldorfschülerin Elisa Reisser zufolge lernt man an der Waldorfschule Wesentliches für das spätere Leben.
Der Text wird von einer Grafik unterstützt, die Aufschluss über die Entwicklung der Waldorfschule von 1945 bis 2012 gibt. Die Quelle der Grafik ist das Institut für Bildungsökonomie. Als Form wurde das Balkendiagramm gewählt. Es veranschaulicht den imposanten Anstieg von Schulen und Schülern seit dem Ende des zweiten Weltkriegs bis zum Jahr 2012. Während es im Jahr 1945 nur sechs freie Waldorf- und Rudolf-Steiner-Schulen gab, erhöhte sich diese Zahl um ein Vielfaches auf 233 Schulen im Jahr 2012. Insgesamt dürften heute ca. 83000 deutsche Schüler diese Schulform besuchen. Ab 1990 wurden auch die neu gegründeten Waldorfschulen auf dem Gebiet der ehemalige DDR in der Statistik berücksichtigt.
Nachdem ich nun die Kernaussagen von Text und Grafik kennen gelernt habe, frage ich mich, welche Argumente für und welche gegen Waldorfschulen sprechen. Viele Leute denken, dass die Waldorfschulen pädagogisch sinnvolle Bildungseinrichtungen sind, da den Kindern kein Leistungsdruck und einseitiges Auswendiglernen von unnötigen Fakten zugemutet werde. Den Schülern werde es vielmehr ermöglicht, ihre sozialen und kreativen Fähigkeiten zu entwickeln. So ist es nur natürlich, dass viele Absolventen der Waldorfschule später in so genannten Helferberufen, z.B. als Pfleger, Heilpraktiker oder Psychologe arbeiten. Ein weiteres stichhaltiges Argument für die Waldorfschule ist die Tatsache, dass alle Sinne der Schüler angesprochen werden, was ja auch schon der Titel des Artikels „Lernen mit allen Sinnen“ nahelegt. Neben den intellektuellen Fähigkeiten fördern sie auch handwerkliche und -künstlerisch-musische Talente. Die Schüler spielen Musikinstrumente, lernen die Tanzform der Eurythmie, inszenieren Theaterstücke und zimmern einfache Holzhäuser. Diese Qualifikationen fördern ihr Selbstbewusstsein und sorgen für eine ausgewogene Balance zwischen Körper und Geist. Äußerst positiv zu bewerten sind außerdem die Schulpraktika, die sich über mehrere Wochen erstrecken und den Jugendlichen ein Bild vom Leben außerhalb der Schulmauern vermitteln. Waldorfschüler fühlen sich besser auf das Leben vorbereitet und wissen als Schulabgänger aufgrund der praktischen Erfahrungen oft besser als Gymnasiasten, welchen beruflichen Weg sie einschlagen sollen.
Trotz der geschilderten positiven Seiten gibt es allerdings auch negative Aspekte bei dieser Schulform. Es ist nicht gut, dass Waldorfschüler das Lesen und Schreiben erst ab der 2. Klasse lernen. Lesen und Schreiben sind Schlüsselqualifikationen, die weiterführende Bildung erst möglich machen, und sollten so früh wie möglich erlernt werden. Schüler der Regelschulen lernen aus diesem Grund vergleichsweise schneller, da man ihre intellektuellen Fähigkeiten früher und besser fördert. Es erscheint erwiesen, dass frühe Förderung der optimale Weg zu einer gelungenen Erziehung ist. Das bedeutet ja nicht, dass ein Schüler der Regelschule nicht auch ein Musikinstrument erlernen kann oder erste Erfahrungen im Umgang mit dem Anpflanzen von Gemüse oder beim Bau von Hütten machen kann. Diese Erfahrungen sind aber auch außerhalb des Schulalltags in der Freizeit realisierbar. Ist es denn schlecht, wenn ein Schüler am Nachmittag zur Musikschule geht oder am Wochenende zusammen mit dem Vater ein Vogelhäuschen bastelt? Ähnlich verhält es sich mit dem Konkurrenzdruck. Dadurch, dass Waldorfschüler jahrelang keine Noten bekommen, stehen sie nie unter Druck und lernen deshalb nicht, mit Stress umzugehen. Wenn diese Schüler später im Berufsleben mit Arbeitsbelastung und Konkurrenz konfrontiert werden, haben sie Probleme damit umzugehen und werden scheitern. Sie haben es ja nie gelernt! Abschließend sei noch erwähnt, dass vielen Waldorfschülern das Abitur verwehrt bleibt. Um die Hochschulreife zu erlangen, müssen sie sich ein 13. Jahr intensiv vorbereiten. Viele scheitern an den hohen Anforderungen der von Bundesländern vereinbarten einheitlichen Standards.
Wenn man mich persönlich fragen würde, würde ich sagen, dass ich die Waldorfschule nicht besonders gut finde. Erstens finde ich es als „Leseratte“ bedenklich, dass Schüler erst ab der 2. Klasse Lesen und Schreiben lernen, denn Kinder haben gerade in jungen Jahren die außerordentliche Begabung, sehr viel in kurzer Zeit zu lernen. Wichtig ist es auch, früh zu lernen mit Konkurrenten umzugehen. Dann hat man es später im Beruf leichter. Das Leben ist kein Zuckerschlecken und man muss lernen, sich zu behaupten. Ein Abiturzeugnis ist das Tor zur Hochschulausbildung und erst ein Hochschulstudium ermöglicht den Zugang zu besser bezahlten Berufen. Hier haben die Waldorfschüler aufgrund ihrer eher künstlerisch-musischen oder sozialen Erziehung das Nachsehen. Ich selbst habe eine Cousine, die die Waldorfschule in Zagreb besucht hat. Da sie die Reifeprüfung nicht bestand, arbeitet sie jetzt bei einer Tante in einem Schönheitssalon und lebt weiterhin im Elternhaus.
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass vom Besuch der Waldorfschule abgeraten werden sollte, wenn ein Akademikerberuf angestrebt wird. Anzuraten hingegen ist ein Besuch der Einrichtung, wenn eine einseitig musikalische oder künstlerische Begabung vorliegt – vielleicht, weil das Kind aus einer Musiker – oder Künstlerfamilie kommt. Dann kann auch die Waldorfschule der richtige Weg sein.
Katarina Mihelić, 4.2